Dienstag, 22. November 2011

"Hinter der Tür" Magda Szabó



Szabós Roman habe ich sehr lange gelesen - verschiedene Aktivitäten haben mich ständig vom Lesen abgehalten. Die Zeit reichte nur für ein paar abends schnell geschluckte Seiten, was den Lesegenuss sehr beeinträchtigt hat. Dabei wusste ich, dass "Hinter der Tür" ein der besten Romane von Szabó sein soll. Ich las also weiter bis ich merkte, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte.

"Hinter der Tür", ganz typisch für Szabós Werk, ist ein psychologischer Roman. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt. Magda - eine aufgeschlossene Schriftstellerin, herzlich und offen, zieht mit ihrem Mann in eine neue Wohnung ein. Emerenc - eine einfache Frau, die eine nah gelegene Dienstwohnung ihr Zuhause nennt. Sie sorgt für die ganze Straße - putzt, fegt, kocht, besorgt und umsorgt alle, nicht zu vergessen die Tiere, die sie besonders ins Herz geschlossen hat. 
Es ist jedoch nicht Magda, die Emerenc einstellt, sondern die resolute Putzfrau sucht selbst ihre "Herrschaften"aus, nachdem sie sich in der Umgebung nach ihrem Ruf erkundigt hat. 
Emerenc ist apodiktisch, herrisch, sie bestimmt, wie ihre Einstellung geregelt wird, wann sie putzt, was sie kocht und wer sich um den Hund kümmert. Zu all dem ist sie geheimnisvoll - die Tür zu ihrer Wohnung bleibt immer geschlossen. Alle Gäste werden in dem kleinen Vorraum empfangen, Emerenc lässt niemanden wissen, was sich hinter ihrer Wohnungstür verbirgt. Trotzdem ist sie unter allen Nachbarn ausgesprochen beliebt und auch zwischen Magda und ihr entsteht eine besondere Beziehung.

Es fällt mir schwer ihre gegenseitigen Gefühle zu beschreiben. Es ist eine bitter-süße Mischung von Liebe und Hass - sie beinhaltet wunderbare gemeinsame Augenblicke extremer Nähe und tiefes Verletzen, sie polarisiert zwischen Nehmen und Geben, zwischen Harmonie und ständigem Hin und Her. Emerenc verletzt Magda mit ihrer Offenheit - sie kritisiert ihre Arbeit (nur körperliche Beschäftigung zählt), ihre Religiosität und ihr Geschmack. Magda sieht ihre Verhaltensfehler erst nach langer Zeit - der Roman gleicht einer Beichte, in der Magda mit ihrem oft unbedachtem Verhalten Emerenc gegenüber abrechnet. 
In den zwanzig Jahren, in denen Emerenc für das Ehepaar gearbeitet hatte, lernte Magda ihre Geheimnisse und ihre Vergangenheit immer besser kennen. Nur vor ihr hat sich die verschlossene Frau langsam eröffnet und ihr ihre Würde anvertraut. Magda erkennt, dass sie, obwohl sie nichts von Büchern, Kopfarbeit und Kirche hält, eine sehr weise Frau ist, die sehr viel Wärme und Liebe für die Menschen und Tiere übrig hat. 

Der Leser verfolgt die Geschichte der Beziehung der beiden Frauen aus der Perspektive von Magda und teilt somit ihre Gefühle und Ansichten. Emerenc hat deswegen lange auf mein Verständnis für ihr Verhalten gewartet, ich konnte mit dem, doch so gutem, Roman nicht warm werden. Als es aber auf ein Mal passierte, wurde ich, wie schon bei den anderen Büchern von Szabó, sprachlos. Die psychologische Tiefe und die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Protagonisten machen aus dem Roman ein Meisterstück. 

Ich habe dieses Jahr sieben Romane von Szabó gelesen - dieser gehört sicherlich zu den besten, mich haben jedoch "Die Elemente" und "Das Schlachtfest" mehr beeindruckt.

Meine Bewertung: 5/6

Magda Szabó, Hinter der Tür, tł. Hans-Henning Paetzke, 303 str., Insel Verlag 1992.

3 Kommentare:

  1. Ein besonderes Buch - so intensiv und mitreißend. Für mich war es das erste Buch von ihr aber es hat Lust auf mehr gemacht!

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  2. Ich denke, die Reihenfolge, in der man die Bücher von Szabó liest, wird dafür entscheidend sein, welches von ihnen man als das Beste empfinden wird. Ich empfehle Die noch "Die Elemente" und "Schlachtfest" - beide sehr beeindruckend!

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  3. Aniu, hast Du "Schlachtfest" auf Polnisch oder auf Deutsch gelesen? Ich würde mir gerne das Buch kaufen, da es aber nicht mehr regulär erhältlich ist, will ich keinen Falschkauf tätigen. Daher meine Frage - was würdest Du empfehlen: Deutsch oder Polnisch?
    Liebe Grüße
    Dorota

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