Mittwoch, 30. November 2011

"Das Schlachtfest" Magda Szabó



Schon lange habe ich auf so ein tiefgründiges, bewegendes Buch gewartet. "Das Schlachtfest" wird sicherlich noch Wochen in meiner Erinnerung bleiben, mich beunruhigen und zum Nachdenken zwingen. 

Szabó thematisiert in einem ihrer besten Romane eine ganze Palette von Themen und Problemen - man kann sie jedoch alle zu einem Oberbegriff zusammen fassen - Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation. 
Die Autorin lässt die vergangenen und aktuellen Geschenisse von mehreren Stimmen erzählen - jede Person, die in Janós' Leben involviert ist, stellt ihre Erlebnisse und Empfindungen dar, so dass der Leser sich selbst das volle Bild dessen, was passiert ist, mühsam erarbeiten muss. Ich schreibe mühsam - aber die Mühe ist sehr positiv, trägt sie doch ein durchaus positives Ergebnis mit sich mit: am Ende wird man mit einem vielfältigem Bild des Geschehens belohnt und kann die Beweggründe aller Protagonisten verstehen.

Seite für Seite schildert Szabó die Geschichte zwei Familien: der Tóths - Nachkommen armer Seifenhersteller und der Kemerys - Nachkommen reicher Grundbesitzer. Janós Toth und Paula Kemery heiraten zwar aber ihre Ehe wird von beiden Familien nicht akzeptiert. Der erstaunte Leser wird erfahren, dass nur Janós seine Ehefrau liebt. Er gibt für sie sein bisheriges Leben auf, seine Lieblingsgegenstände landen auf dem Dachboden, seine Werte werden ausgelacht, seine Manieren ebenfalls. Paula bleibt dagegen lange ein Rätsel - kühl, elegant, berechnet und stolz wirkt sie sehr unsympathisch. Warum hat sie den verachteten Janós geheiratet?

Sehr große Rolle spielt im "Schlachtfest" die Erziehung - durch sie werden die Charaktere der Kinder determiniert und ihr weiteres Schicksal bestimmt. Paula und ihre Geschwister werden sehr streng erzogen. Angst, Drill und Hunger beherrschen ihre Kindheit. Im Haus von Kemerys spielen sich schreckliche Szenen ab, das Böse lauert in jeder Ecke, lähmt und erstickt die Kinder. 
In Janós' Familie wird dagegen geschwiegen - die Mutter liebt zwar ihre Kinder aber redet nicht über eigene Empfindungen und Sorgen. Alle leben nebeneinander und verlieren langsam die Fähigkeit sich zu unterhalten. Ironischerweise ist Janós ein ausgezeichneter Lehrer und Erzieher, er hat einen wunderbaren Zugang zu seinen Schülern.

Obwohl Szabó Janós im Mittelpunkt der Handlung stellt, nicht er ist der Hauptprotagonist. Es sind die Frauen, die das Leben ihrer Familien beeinflussen und alle Entscheidungen treffen. Allerdings fällt es schwer nur einen einzigen positiven Charakter in Szabós Roman zu finden - alle Personen haben negative Egenschaften  und können beim Leser keine Sympathie gewinnen. 

Das schneereiche Dezemberwetter harmonisiert mit dem kühlen Ton des Romans und verstärkt das Entsetzen, dem der Leser während der Lektüre nicht entkommen kann. Trotzdem wollte ich gar nicht dieser schweren Atmosphäre entkommen, ich ließ mich von ihr beherrschen hin und verfolgte gebannt das Geschehen.

Meine Bewertung: 6/6

Magda Szabó, Świniobicie, tł. Krystyna Pisarska, 188 str., PIW 1977.

Dienstag, 22. November 2011

"Hinter der Tür" Magda Szabó



Szabós Roman habe ich sehr lange gelesen - verschiedene Aktivitäten haben mich ständig vom Lesen abgehalten. Die Zeit reichte nur für ein paar abends schnell geschluckte Seiten, was den Lesegenuss sehr beeinträchtigt hat. Dabei wusste ich, dass "Hinter der Tür" ein der besten Romane von Szabó sein soll. Ich las also weiter bis ich merkte, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte.

"Hinter der Tür", ganz typisch für Szabós Werk, ist ein psychologischer Roman. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt. Magda - eine aufgeschlossene Schriftstellerin, herzlich und offen, zieht mit ihrem Mann in eine neue Wohnung ein. Emerenc - eine einfache Frau, die eine nah gelegene Dienstwohnung ihr Zuhause nennt. Sie sorgt für die ganze Straße - putzt, fegt, kocht, besorgt und umsorgt alle, nicht zu vergessen die Tiere, die sie besonders ins Herz geschlossen hat. 
Es ist jedoch nicht Magda, die Emerenc einstellt, sondern die resolute Putzfrau sucht selbst ihre "Herrschaften"aus, nachdem sie sich in der Umgebung nach ihrem Ruf erkundigt hat. 
Emerenc ist apodiktisch, herrisch, sie bestimmt, wie ihre Einstellung geregelt wird, wann sie putzt, was sie kocht und wer sich um den Hund kümmert. Zu all dem ist sie geheimnisvoll - die Tür zu ihrer Wohnung bleibt immer geschlossen. Alle Gäste werden in dem kleinen Vorraum empfangen, Emerenc lässt niemanden wissen, was sich hinter ihrer Wohnungstür verbirgt. Trotzdem ist sie unter allen Nachbarn ausgesprochen beliebt und auch zwischen Magda und ihr entsteht eine besondere Beziehung.

Es fällt mir schwer ihre gegenseitigen Gefühle zu beschreiben. Es ist eine bitter-süße Mischung von Liebe und Hass - sie beinhaltet wunderbare gemeinsame Augenblicke extremer Nähe und tiefes Verletzen, sie polarisiert zwischen Nehmen und Geben, zwischen Harmonie und ständigem Hin und Her. Emerenc verletzt Magda mit ihrer Offenheit - sie kritisiert ihre Arbeit (nur körperliche Beschäftigung zählt), ihre Religiosität und ihr Geschmack. Magda sieht ihre Verhaltensfehler erst nach langer Zeit - der Roman gleicht einer Beichte, in der Magda mit ihrem oft unbedachtem Verhalten Emerenc gegenüber abrechnet. 
In den zwanzig Jahren, in denen Emerenc für das Ehepaar gearbeitet hatte, lernte Magda ihre Geheimnisse und ihre Vergangenheit immer besser kennen. Nur vor ihr hat sich die verschlossene Frau langsam eröffnet und ihr ihre Würde anvertraut. Magda erkennt, dass sie, obwohl sie nichts von Büchern, Kopfarbeit und Kirche hält, eine sehr weise Frau ist, die sehr viel Wärme und Liebe für die Menschen und Tiere übrig hat. 

Der Leser verfolgt die Geschichte der Beziehung der beiden Frauen aus der Perspektive von Magda und teilt somit ihre Gefühle und Ansichten. Emerenc hat deswegen lange auf mein Verständnis für ihr Verhalten gewartet, ich konnte mit dem, doch so gutem, Roman nicht warm werden. Als es aber auf ein Mal passierte, wurde ich, wie schon bei den anderen Büchern von Szabó, sprachlos. Die psychologische Tiefe und die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Protagonisten machen aus dem Roman ein Meisterstück. 

Ich habe dieses Jahr sieben Romane von Szabó gelesen - dieser gehört sicherlich zu den besten, mich haben jedoch "Die Elemente" und "Das Schlachtfest" mehr beeindruckt.

Meine Bewertung: 5/6

Magda Szabó, Hinter der Tür, tł. Hans-Henning Paetzke, 303 str., Insel Verlag 1992.