Samstag, 22. Januar 2011

"Kaprysik" Mariusz Szczygieł


Vor ein paar Tagen habe ich "Gottland" gelesen und Szczygiels Reportagen haben mir so gut gefallen, dass ich sofort ein weiteres Buch von ihm lesen wollte. Glücklicherweise habe ich vor ein paar Tagen dieses kleine Büchlein bekommen und konnte es an einem Abend fertig lesen.

Dieser etwas kitschige Umschlag und auch der Titel (zu deutsch `eine kleine Marotte`) sollen den Leser nicht täuschen. Das Buch beinhaltet sieben wunderbare Reportagen. Szczygiel hat mich erneut mit seinen treffenden Bemerkungen, schlichten Fragen, seiner einfachen und gleichzeitig (!) einfühlsamen Sprache überzeugt.
Alle Reportagen handeln von Frauen - scheinbar gewöhnlichen Personen, die jedoch alle in gewisser Weise besonders sind.
Am besten hat mir die erste Reportage gefallen. Szczygiel beschreibt die Tagebücher von Janina Turek. Sie hat ihr ganzes Leben alles katalogisiert - zufällige Begegnungen, Frühstücke, Mittagessen, Abendbrote, Geschenke, egal wie klein sie waren, gelesene Bücher (woher kenne ich es?), gesehene Filme, alle Telefonate, Besuche usw. Jedes Ereignis bekam eine Nummer und wurde gezählt. Unfassbar! Die Familie von Frau Turek hat von ihrem Hobby oder eher ihrem Zwang (?) nichts gewusst. Nach ihrem Tod wurden unzählige Hefte entdeckt. Ich mag sehr gerne Statistiken und fühle ich besser, wenn meine Welt sortiert ist - daher wahrscheinlich meine Faszination für das Erbe von Frau Turek.

Die anderen Reportagen sind ebenso interessant. Szczygiel versucht zu erfahren, was Frau Ania dazu bewegt , sich regelmässig zu fotografieren zu lassen. Es sind keine gewöhnlichen Fotos - mehrere Tage bereitet sie sich aufwändig vor - sie erstellt eigene Choreographie und lässt sogar Kostüme nähen.
Der Autor wird zum Detektiv als er eine alte Liste mit mehreren Namen von Frauen findet. Bei jedem Namen steht das Geburtsdatum und die Adresse.
Die letzte Reportage hat mich sehr berührt - Szczygiel präsentiert eine Auswahl von Fragmenten aus der 52-jährigen Korrespondenz zwischen zwei Studienfreundinnen. Jede Woche haben sie sich einen Brief geschrieben und obwohl sie relativ nah gewohnt haben, trafen sie sich nur selten.

Das Buch wurde leider nicht auf Deutsch herausgegeben - wahrscheinlich sind einige der Reportagen zu spezifisch. Eigentlich schade, ich hätte es euch wärmstens empfohlen!

Meine Bewertung: 6/6

Mariusz Szczygieł, Kaprysik, 192 Seiten, Agora SA

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