Samstag, 22. Januar 2011

"Ourania" J.M.G. Le Clézio


Gut, dass dieses nicht das erste Buch von Le Clézio war, das ich gelesen habe. Wäre es der Fall gewesen, hätte ich den Nobelpreisträger sicherlich sofort abgehackt und mir nie mehr Mühe gemacht, etwas anders von ihm zu lesen. Dabei haben mir "Revolutionen" und "Fisch aus Gold" so gut gefallen. "Ourania" ist jedoch ein viel schwächerer Roman.

Daniel Sillitoe - französischer Geograph - kommt nach Emporio. Es ist ein Ort, wo sich Wissenschaftler, vornehmlich Anthropologen, aus aller Welt treffen, um gemeinsam zu forschen, Vorlesungen zu halten und Erfahrungen auszutauschen. Bereits in den ersten Tagen hat Daniel eine Auseinandersetzung mit den Anthropologen, da sie der einheimischen Bevölkerung gegenüber sehr zwiespältig auftreten. Das Tal wird vornehmlich von sehr armen Menschen bewohnt - die Mädchen prostituieren sich, die Kinder suchen auf den Müllhalden nach Essbarem, die Frauen arbeiten von früh morgens bis spät abends an den Erdbeerfeldern.
In der Nähe befindet sich eine geheimnisvolle Siedlung - Campos. Daniel interessiert sich sehr für ihre Bewohner - sie haben eine autonome Gemeinschaft mit eigenen Regeln und eigener Sprache gegründet. Als er im Bus zufällig Rafael - einen Bewohner von Campos - kennen lernt, freut er sich mehr zu erfahren.
Le Clézio führt noch eine dritte Ebene in seinem Roman ein - Daniel lernt ein Mädchen aus Puerto Rico kennen, mit der er eine Beziehung eingeht. Dalia vermisst jedoch ihren kleinen Sohn, der bei seinem Vater, der an einer Revolution beteiligt ist, wohnt.

Die Vielfalt an Themen, die Le Clézio in diesem doch ziemlich kurzem Buch, berührt, überschattet das Wesentliche. Campos, oder besser gesagt Ourania, rückt in den Hintergrund. Schade, ich würde doch gerne mehr über die Bewohner, ihre Herkunft und das tägliche Leben in der Gemeinschaft erfahren. Die anderen Plots sollten ebenfalls mehr ausarbeitet werden. In dieser Form mutiert das Buch zu einer Sammlung von unterschiedlichen Gedanken, die aber nie zu Ende gedacht werden.
Ein sehr großes Lob geht wieder an Le Clézios Sprache - lange, gut geformte Sätze im Stil der alten Erzählkunst zeugen von der heutzutage immer seltener auftretenden Fähigkeit Geschichten ohne Eile zu erzählen.

Ich kann "Ourania" nicht empfehlen. Man sollte jedoch Le Clézio unbedingt kennen lernen - zum Beispiel durch die zwei anderen Titel, die ich zu Anfang erwähnt habe.

Meine Bewertung: 3/6

J.M.G. Le Clézio "Urania", übersetzt von Zofia Kozimor, 238 Seiten, PIW.

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