Mittwoch, 9. März 2011

"Fegefeuer" Sofi Oksanen


Es fällt mir schwer meine Gedanken in Worte zu fassen. Wie soll ich über solch ein Buch schreiben und nicht zu viel sagen, vor allem nichts Banales sagen. "Fegefeuer" hat alle Erwartungen ausgefüllt, die ich an einen Roman stelle: er hat mich bis zu Tiefstem berührt, die Sprache hat mich begeistert und meine Gedanken gehören voll und ganz diesem Buch.

Sofi Oksanen hat mich überrascht: ich bin von ihrer Reife, der Romankonstruktion und vor allem von der Sprache begeistert. Sie kann fürchterliche Taten in Worte fassen, Grausames und Brutales in eine Metapher umwandeln, die einen noch lange nicht loslässt. Oksanens Sprache hat mich so weit begeistert, dass ich viele Fragmente mehrere Male gelesen habe. Ich habe über die Metaphern gestaunt und staune immer noch. In den unmenschlichsten Momenten kann sie das Grausame in solch eine suggestive Metapher umwandeln, dass einem der Atem wegbleibt. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es passiert nicht oft, dass mir der Stil eines Autors so sehr gefällt.

Die Sprache ist jedoch nicht die einzige Stärke des Romans. Die Konstruktion und vor allem der Inhalt machen daraus ein beinahe vollkommenes Werk. Oksanen erzählt die Geschichte zwei Estinnen - ihr Schicksal ist eng mit dem politischen Geschehen in Estland verbunden. Mehr möchte ich nicht sagen, um den Überraschungseffekt nicht zunichte zu machen. Lieber möchte ich erwähnen, wie meisterhaft die Autorin eine breite Palette an Themen in ihren Roman einfließen lässt - sie schreibt über eine destruktive Liebe, über den Verrat und über schwierige zwischenmenschliche und familiäre Beziehungen. "Fegefeuer" ist ein Roman über starke Frauen, die trotz der räumlichen und zeitlicher Entfernung sich ähnliches Schicksal teilen. Es ist aber auch ein Roman über Männer, die ihre Macht immer durch das Erniedrigen der weiblichen Sexualität ausspielen. Letztendlich ist es auch ein Roman über die Liebe zur Heimat, über den Befreiungskampf und die Wichtigkeit der Tradition und der Familiengeschichte.

Obwohl der Roman so viele Aspekte anspricht, wirkt er nicht überladen. Oksanen gelingt es alle Themen miteinanader zu verbinden. Die auf dem Schutzumschlag (sehr gelungen!) abgebildete Fliege wird zu einem Leitmotiv, dessen Vorkommen ich gespannt verfolgt habe.

Ich bin mir bewusst, dass ich trotz der vielen Wörter nicht viel geschrieben habe - bitte überzeugt euch selbst von der Stärke dieses Romans.

Meine Bewertung: 6/6

Sofi Oksanen, Fegefeuer, übersetzt von Angela Plöger, 396 Seiten, Kiepenheuer & Witsch

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen