Mittwoch, 30. November 2011

"Das Schlachtfest" Magda Szabó



Schon lange habe ich auf so ein tiefgründiges, bewegendes Buch gewartet. "Das Schlachtfest" wird sicherlich noch Wochen in meiner Erinnerung bleiben, mich beunruhigen und zum Nachdenken zwingen. 

Szabó thematisiert in einem ihrer besten Romane eine ganze Palette von Themen und Problemen - man kann sie jedoch alle zu einem Oberbegriff zusammen fassen - Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation. 
Die Autorin lässt die vergangenen und aktuellen Geschenisse von mehreren Stimmen erzählen - jede Person, die in Janós' Leben involviert ist, stellt ihre Erlebnisse und Empfindungen dar, so dass der Leser sich selbst das volle Bild dessen, was passiert ist, mühsam erarbeiten muss. Ich schreibe mühsam - aber die Mühe ist sehr positiv, trägt sie doch ein durchaus positives Ergebnis mit sich mit: am Ende wird man mit einem vielfältigem Bild des Geschehens belohnt und kann die Beweggründe aller Protagonisten verstehen.

Seite für Seite schildert Szabó die Geschichte zwei Familien: der Tóths - Nachkommen armer Seifenhersteller und der Kemerys - Nachkommen reicher Grundbesitzer. Janós Toth und Paula Kemery heiraten zwar aber ihre Ehe wird von beiden Familien nicht akzeptiert. Der erstaunte Leser wird erfahren, dass nur Janós seine Ehefrau liebt. Er gibt für sie sein bisheriges Leben auf, seine Lieblingsgegenstände landen auf dem Dachboden, seine Werte werden ausgelacht, seine Manieren ebenfalls. Paula bleibt dagegen lange ein Rätsel - kühl, elegant, berechnet und stolz wirkt sie sehr unsympathisch. Warum hat sie den verachteten Janós geheiratet?

Sehr große Rolle spielt im "Schlachtfest" die Erziehung - durch sie werden die Charaktere der Kinder determiniert und ihr weiteres Schicksal bestimmt. Paula und ihre Geschwister werden sehr streng erzogen. Angst, Drill und Hunger beherrschen ihre Kindheit. Im Haus von Kemerys spielen sich schreckliche Szenen ab, das Böse lauert in jeder Ecke, lähmt und erstickt die Kinder. 
In Janós' Familie wird dagegen geschwiegen - die Mutter liebt zwar ihre Kinder aber redet nicht über eigene Empfindungen und Sorgen. Alle leben nebeneinander und verlieren langsam die Fähigkeit sich zu unterhalten. Ironischerweise ist Janós ein ausgezeichneter Lehrer und Erzieher, er hat einen wunderbaren Zugang zu seinen Schülern.

Obwohl Szabó Janós im Mittelpunkt der Handlung stellt, nicht er ist der Hauptprotagonist. Es sind die Frauen, die das Leben ihrer Familien beeinflussen und alle Entscheidungen treffen. Allerdings fällt es schwer nur einen einzigen positiven Charakter in Szabós Roman zu finden - alle Personen haben negative Egenschaften  und können beim Leser keine Sympathie gewinnen. 

Das schneereiche Dezemberwetter harmonisiert mit dem kühlen Ton des Romans und verstärkt das Entsetzen, dem der Leser während der Lektüre nicht entkommen kann. Trotzdem wollte ich gar nicht dieser schweren Atmosphäre entkommen, ich ließ mich von ihr beherrschen hin und verfolgte gebannt das Geschehen.

Meine Bewertung: 6/6

Magda Szabó, Świniobicie, tł. Krystyna Pisarska, 188 str., PIW 1977.

Dienstag, 22. November 2011

"Hinter der Tür" Magda Szabó



Szabós Roman habe ich sehr lange gelesen - verschiedene Aktivitäten haben mich ständig vom Lesen abgehalten. Die Zeit reichte nur für ein paar abends schnell geschluckte Seiten, was den Lesegenuss sehr beeinträchtigt hat. Dabei wusste ich, dass "Hinter der Tür" ein der besten Romane von Szabó sein soll. Ich las also weiter bis ich merkte, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte.

"Hinter der Tür", ganz typisch für Szabós Werk, ist ein psychologischer Roman. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt. Magda - eine aufgeschlossene Schriftstellerin, herzlich und offen, zieht mit ihrem Mann in eine neue Wohnung ein. Emerenc - eine einfache Frau, die eine nah gelegene Dienstwohnung ihr Zuhause nennt. Sie sorgt für die ganze Straße - putzt, fegt, kocht, besorgt und umsorgt alle, nicht zu vergessen die Tiere, die sie besonders ins Herz geschlossen hat. 
Es ist jedoch nicht Magda, die Emerenc einstellt, sondern die resolute Putzfrau sucht selbst ihre "Herrschaften"aus, nachdem sie sich in der Umgebung nach ihrem Ruf erkundigt hat. 
Emerenc ist apodiktisch, herrisch, sie bestimmt, wie ihre Einstellung geregelt wird, wann sie putzt, was sie kocht und wer sich um den Hund kümmert. Zu all dem ist sie geheimnisvoll - die Tür zu ihrer Wohnung bleibt immer geschlossen. Alle Gäste werden in dem kleinen Vorraum empfangen, Emerenc lässt niemanden wissen, was sich hinter ihrer Wohnungstür verbirgt. Trotzdem ist sie unter allen Nachbarn ausgesprochen beliebt und auch zwischen Magda und ihr entsteht eine besondere Beziehung.

Es fällt mir schwer ihre gegenseitigen Gefühle zu beschreiben. Es ist eine bitter-süße Mischung von Liebe und Hass - sie beinhaltet wunderbare gemeinsame Augenblicke extremer Nähe und tiefes Verletzen, sie polarisiert zwischen Nehmen und Geben, zwischen Harmonie und ständigem Hin und Her. Emerenc verletzt Magda mit ihrer Offenheit - sie kritisiert ihre Arbeit (nur körperliche Beschäftigung zählt), ihre Religiosität und ihr Geschmack. Magda sieht ihre Verhaltensfehler erst nach langer Zeit - der Roman gleicht einer Beichte, in der Magda mit ihrem oft unbedachtem Verhalten Emerenc gegenüber abrechnet. 
In den zwanzig Jahren, in denen Emerenc für das Ehepaar gearbeitet hatte, lernte Magda ihre Geheimnisse und ihre Vergangenheit immer besser kennen. Nur vor ihr hat sich die verschlossene Frau langsam eröffnet und ihr ihre Würde anvertraut. Magda erkennt, dass sie, obwohl sie nichts von Büchern, Kopfarbeit und Kirche hält, eine sehr weise Frau ist, die sehr viel Wärme und Liebe für die Menschen und Tiere übrig hat. 

Der Leser verfolgt die Geschichte der Beziehung der beiden Frauen aus der Perspektive von Magda und teilt somit ihre Gefühle und Ansichten. Emerenc hat deswegen lange auf mein Verständnis für ihr Verhalten gewartet, ich konnte mit dem, doch so gutem, Roman nicht warm werden. Als es aber auf ein Mal passierte, wurde ich, wie schon bei den anderen Büchern von Szabó, sprachlos. Die psychologische Tiefe und die Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden Protagonisten machen aus dem Roman ein Meisterstück. 

Ich habe dieses Jahr sieben Romane von Szabó gelesen - dieser gehört sicherlich zu den besten, mich haben jedoch "Die Elemente" und "Das Schlachtfest" mehr beeindruckt.

Meine Bewertung: 5/6

Magda Szabó, Hinter der Tür, tł. Hans-Henning Paetzke, 303 str., Insel Verlag 1992.

Sonntag, 30. Oktober 2011

"1Q84" Teil 1 Haruki Murakami


Vor zehn Jahren fand ich Murakami ganz gut und habe ein paar seiner Romane gelesen. Aus unerklärlichen Gründen kam ich nicht mehr dazu weitere seine Bücher kennen zu lernen. Umso mehr freute ich mich auf das neue Werk des japanischen Schriftstellers. Leider blieb dieses Mal die Bewunderung aus, ich kann nicht ein mal sagen, dass mir der Roman gefallen hat. Angesicht der vielen positiven Rezensionen auf diversen Blogs, frage ich mich, warum mich der neue Murakami nicht mitziehen konnte, fand ich ihn vor zehn Jahren doch so toll. Ich vermute, dass ich mich als Leserin verändert habe, andererseits muss ich wahrscheinlich erst die anderen Bänder lesen, um den Roman wirklich bewerten zu können.

Murakami erzählt abwechselnd die Geschichte von zwei Tokioter. Zuerst lernen wir Aomame kennen - eine Fitness- und Kampfkunstrainerin sowie Mörderin. Sie sitzt in einem etwas merkwürdigem Taxi - lauscht klassischer Musik und unterhält sich mit dem Taxifahrer, wie sie am schnellsten dem Stau entkommen könnte. Schliesslich befolgt sie den Rat des Fahrers und nimmt die Fluchttreppe auf der Autobahn. Kurz danach bemerkt sie, dass die Welt anders geworden ist. Zuerst fällt ihr ins Auge ein etwas anders angezogener Polizist. Das macht sie noch nicht stutzig aber als sie am Himmel zwei Monde entdeckt, beschliesst sie, dass sie sich in einer Parallelwelt befindet, die sie spontan 1Q84, im Gegensatz zum aktuellen Jahr 1984, nennt.

Tego unterrichtet Mathematik und träumt von Schriftstellerkarriere. Sein Lektor überzeugt ihn den Roman der siebzehnjährigen Fukaeri zu korrigieren, den sie für einen Literaturwettbewerb eingereicht hat. "Die Puppe aus Luft" besticht mit einem außergewöhnlichen Inhalt, der Stil ist jedoch so unbeholfen, dass der Roman weitergehend verbessert werden muss. Tengo empfindet den Auftrag als moralisch bedenklich aber schließlich entscheidet er sich ihn anzunehmen. Langsam wird sein ganzes Leben von dem Inhalt des Buches beherrscht.

Und schließlich Fukaeri - ein ungewöhnliches Mädchen, dass bis zum seinem zehnten Lebensjahr in einer Sekte aufwuchs. Dort hat sich höchstwahrscheinlich Little People und die in ihrem Roman beschriebene Puppe aus Luft kennen gelernt. Der Leser erfährt nicht viel mehr über diese Gestalten, Murakami deutet lediglich an, dass sie dem Orwellschem Big Brother ähneln.

Ich hätte nicht erwartet, dass ich den Roman so langsam lesen werde, Murakami konnte mich für seine Parallelwelt nicht begeistern. Die Abschnitte über Little People & co. haben mich gelangweilt. Erst zum Ende des Romans fing ich an, mich für die Erlebnisse von Tengo und Aomame zu interessieren, vor allem als es absehbar wurde, dass sich ihre Leben miteinander verstricken werden. Murakamis "1Q84" bekam bei mir eine weitere Chance - ich habe den zweiten Teil bereits gelesen und der dritte Band liegt auch schon da.

Meine Bewertung: 3/6

Haruki Murakami, 1Q84, übersetzt von Anna Zielinska-Elliot, 477 Seiten, Muza 2011.

Donnerstag, 22. September 2011

"Die glücklichste Nation unter der Sonne" Þórarinn Eldjárn


Die Lektüre der dreizehn Erzählungen von Þórarinn Eldjárn hat mir großes Vergnügen bereitet. Obwohl der Autor zu den bekanntesten Erzähler Islands zählt und ich schon sehr viel Literatur aus diesem Land kennen lernen durfte, war mir sein Name bis jetzt unbekannt. Wie schade! 

Þórarinn Eldjárn überrascht, amüsiert und kann dem Leser nicht nur ein Mal ein Lächeln entlocken. Seine Erzählungen entziehen sich jeder Kategorie und obwohl es klar ist, dass er über seine Heimat und seine Landsleute schreibt, ist er sehr sparsam mit einer genauen Bestimmung von Ort und Zeit, was den Geschichten etwas an Universalität gibt. Gleichzeitig entwickelt er einen feinsinnigen Humor, so dass der Leser das Gefühl nicht los wird, dass der Autor mit einem liebevollem Augenzwicker über seine Mitbürger und ihre Schwächen schreibt.

Als erstes begeistert die Erzählung, in der Þórarinn Eldjárn erklärt, warum Island eine in unterschiedlichsten Bereichen führende Nation ist. Man muss lediglich an der Bevölkerungszahl messen, egal ob man die Schachmeister, Nobelpreisträger oder Opernsänger, die in der La Scala singen, zählt. Plötzlich rangiert Island in diesen Disziplinen auf den ersten Platz. 

Eines Tages landet in einem der entlegensten Nordfjorde ein Wikingerboot. Zufällige Beobachter stellen fest, dass die Ankömmlinge die gleiche Sprache, wie die ersten Siedler auf Island sprechen, sich ebenfalls so verhalten und mit der Landeinnahme beginnen. Es wird eine Kamera platziert und es beginnt der größte Forschungsprojekt Islands, der zudem von der ganzen Nation in Kinos verfolgt wird bis Unerwartetes passiert... Wunderbare Idee und überraschende Pointe machen diese Erzählung zu einer kleinen Perle.

Die letzte Erzählung hat mir besonders gefallen. Meister Kjartan und seine Mitarbeiter haben soeben ein altes isländisches Torfhaus fertig gestellt. Die Arbeit hat ihnen viel Schweiß und Energie abverlangt, das Haus wurde für eine Filmproduktion gebaut und musste perfekt sein. Bevor die Männer anfangen können zu feiern, kommen der Regisseur sowie der Amtsmann mit seinem Vater, um das vollendete Werk zu begutachten. Der alte Vater ist in einem Torfhaus aufgewachsen und möchte seine Erinnerungen mit der Wirklichkeit konfrontieren. Als er die Arbeiter scharf kritisiert, rasten sie aus. Die geplante Feier artet in ein Saufgelage mit Wutausbrüchen und Beschimpfungen, die unerwartete Folgen am nächsten Tag haben werden.

Die Erzählungen sind skurril, überraschend erfrischend, sie bestechen mit der Beobachtungsgabe des Autors und seinem ungewöhnlichem Humor. Ich bin mir sicher, dass die Isländer viel mehr versteckte Anspielungen in den Texten entdecken werden, trotzdem unterhalten sie auch den ausländischen Leser.
Empfehlenswert!

Meine Bewertung: 5/6

Das Buch bekam ich über Blogg dein Buch vom Conte Verlag - vielen Dank! Das Buch kann über diesen Link bestellt werden.







Þórarinn Eldjárn, Die glücklichste Nation unter der Sonne, tł. Coletta Bürling, 155 str., Conte Verlag 2011.

Freitag, 1. Juli 2011

Statistik Juni 2011

Gelesene Bücher: 8 (1 abgebrochen)
Gelesene Seiten: 2524

Nobelpreisträger-Challenge: 0
Reportagen-Challenge: 0
Japan-Challenge: 0
Nacht-Challenge: 1
Literaturpreis-Challenge: 0
Exoten-Challenge: 0
Haruki Murakami-Challenge: 0
Familien-Challenge: 1
Farbsonnen-Challenge: 0

Das beste Buch: "Das Glitzern der Heringsschuppe in der Stirnlocke" Óskar Árni Óskarsson

SuB-Höhe: 120

Immerhin habe ich es geschafft zwei Rezensionen zu schreiben, es fehlen aber noch zehn:( Die kommen bald, versprochen:)

Mittwoch, 22. Juni 2011

"Ein Eichhörnchen auf Wanderschaft" Gyrðir Elíasson


Dieses kleine Büchlein soll in Island einen Kultstatus erlangt haben. Es wurde bereits vor 24 Jahren herausgegeben aber erst jetzt bekam der deutsche Leser eine Übersetzung. Das mir bis dato unbekannte Verlag Walde + Graf hat übrigens gute Arbeit geleistet. Das Buch besticht mit der graphischen Seite - blauer Druck, viele Spielereien mit den Buchstaben sowie die Illustrationen von Laura Jurt sprechen für den Roman.

Elíasson beschreibt das Leben eines Jungen, der als einsames Pflegekind wundersame Abenteuer erlebt und sehr oft in seine Phantasien eintaucht, um der Langweile des Dorflebens zu entfliehen. Die Beschreibungen seiner Erlebnisse sind sehr lyrisch, teilweise sogar idyllisch (auch wenn das wirkliche Leben des Jungen nicht so glücklich zu sein scheint). Für mein Geschmack fast schon zu poetisch. Den ersten Teil des Romans habe ich noch verkraften können, der zweite war entschieden zu wirr für mein Geschmack. Der Junge entflieht nämlich komplett in seine imaginäre Welt. Und zwar als Eichhörnchen, das sich in eine Stadt, die von Tieren bewohnt wird, begibt. Diese Abenteuer sind ein Ausdruck der Ängste und der innersten Wünsche des Jungen.

Ich kann nicht sagen, dass ich die Idee des Roman nicht verstanden habe. Es ist lediglich kein Buch nach meinem Geschmack und obwohl es so viele positive Rezensionen sammelte, kann ich mich dem Lobgesang nicht anschliessen. Glücklicherweise umfasst das Buch nur etwas mehr als ein Hundert Seiten, so dass die Lektüre schnell zu bewältigen war und ich freue mich, trotz der Enttäuschung, einen weiteren isländischen Autor kennen gelernt zu haben.

Meine Bewertung: 3/6

Gyrðir Elíasson, in Eichhörnchen auf Wanderschaft, übersetzt von Gert Kreutzer, 112 Seiten, Walde + Graf

Freitag, 17. Juni 2011

"Die Elemente" Magda Szabó


Eine alte Frau wohnt alleine in einer Provinzstadt. Ihr geliebter Mann liegt im Sterben im Krankenhaus. Nach seinem Tod ist sie niedergeschlagen, bevor sie jedoch anfängt, ihr Leben neu zu ordnen, übernimmt ihre Tochter Iza das Ruder. Sie ist eine unglaublich pragmatische, rationelle, geordnete Person, als Ärztin sehr sorgfältig, ihren Patienten immer zugewandt. Sie wusste schon immer, was am besten für ihre Eltern ist. Ihre alte Mutter nimmt sie zu sich - in ihre Wohnung nach Budapest. Nach dem ersten Schock freut sich die ältere Dame, dass sie ihrer Tochter nützlich sein könnte - sie wird aufräumen, die Lieblingsspeisen der Tochter kochen und ihr das Leben leichter machen. Sie wird aber bitter enttäuscht. Izas Leben ist geregelt, die Wohnung modern eingerichtet, eine Haushaltshilfe kümmert sich um alles, die Mutter soll sich nur erholen. Sie fühlt sich in dieser Rolle schlecht - unnütz und fehl am Platze. Gleichzeitig weiß sie aber, dass Iza sie sehr liebt und für sie nur das Beste will. Die Tochter versucht ihr ein angenehmes, reiches Leben zu sichern, sieht aber nicht, was ihre Mutter wirklich braucht - Verständnis für ihre Bedürfnisse und Gespräche. Die Einsamkeit der Mutter wird unerträglich, sie versucht Leute kennen zu lernen aber alle ihre Bekanntschaften werden von Iza als ungeeignet bezeichnet und schliesslich verboten.

Der Ex-Mann von Iza - Antal - ein Waisenkind, der durch die Großeltern erzogen wurde, hat erst bei seinen Schwiegereltern Liebe und Wärme erfahren. Trotz der Trennung hat er für seine Schwiegereltern viel Zuneigung. Nach dem Tod des Schwiegervaters, wollte er sich um die Witwe kümmern. Als Iza jedoch ihre Pläne umsetzte, kaufte er das Haus der Schwiegereltern.

Izas Mutter fährt in ihre alte Heimat, um persönlich das Hinstellen des Grabdenkmals für ihren geliebten Mann zu beaufsichtigen. Antal freut sich sehr, sie wieder zu sehen und kann es kaum erwarten, ihr vor seinen Plänen zu berichten.

Jede der im Roman vorgestellten Personen - Antal, Iza, Mutter und Vater - kann als Hauptprotagonist angesehen werden. Szabó ändert in ihrem Roman mehramls die Erzählperspektive, so dass jeder der Protagonisten seine Sichtweise darstellen kann. Besonders die Abschnitte, in denen die Mutter von ihren Erlebnissen berichtet, sind sehr beindruckend. Der Leser beobachtet wie sie sich immer mehr in sich verschliesst, wie sie apathisch wird und schliesslich gänzlich in sich einsackt.

Szabós Stil hat mich begeistert: das Buch habe ich unwahrscheinlich gelesen, trotzdem ist es ein Roman, der noch lange in Erinnerung bleibt. Ein Roman, das nicht so schnell aus den Gedanken verschwindet, einer, der zum Nachdenken zwingt und zutiefst berührt. Szabó bringt den Leser dazu, über eigene Beziehung zu den Eltern und anderen älteren Personen nachzudenken. Diesen Effekt erreicht sie durch eine schlichte, nüchterne Sprache, die die Gefühle der Protagonisten umso mehr hervorhebt. Sie hat es geschafft ein Psychogramm vier verschiedener Personen darzustellen - jede von ihnen versucht nach dem besten Willen zu handeln und jede von ihnen scheitert. Der Mangel an Kommunikation ist der Hauptverursacher aller Katastrophen.

Szabó hat ihren Roman in vier Kapitel geteilt - jedes von ihnen wurde einem anderen Element zugeordnet, die wiederum als Symbole der Persönlichkeiten der Hauptprotagonisten angesehen werden können. Eine Maßnahme die ebenfalls zum Nachdenken zwingt.

Es ist ein Roman nach meinem Geschmack. Ich suche immer nach Büchern, die mich nach dem Fertiglesen noch lange zum Nachdenken zwingen und an die ich mich noch Monate später erinnern kann. Ich habe Szabós Prosa noch im Gymnasium kennen gelernt aber erst jetzt fand ich wieder zu ihr. In meinem SuB warten noch zwei weitere ihre Bücher, auf die ich mich schon sehr freue.
Übrigens, ich habe gerade entdeckt, dass dieser Roman kürzlich in einer neuen Übersetzung in Secession Verlag erschienen ist.

Meine Bewertung: 6/6

Maga Szabó, Piłat, übersetzt von Olga Wybranowska, 275 Seiten, Wydawnictwo PIW

Donnerstag, 16. Juni 2011

Statistik Mai 2011

Gelesene Bücher: 4
Gelesene Seiten: 1838

Nobelpreisträger-Challenge: 0
Reportagen-Challenge: 0
Japan-Challenge: 1
Nacht-Challenge: 0
Literaturpreis-Challenge: 0
Exoten-Challenge: 0
Haruki Murakami-Challenge: 1
Familien-Challenge: 1
Farbsonnen-Challenge: 0

Das beste Buch: "Die Elemente" Magda Szabó

SuB-Höhe: 122

Es fehlen einige Rezensionen aus Mai und auch aus Juni. Ich werde mich demnächst besser, soweit es meine Kinder mal endlich zulassen:)

Dienstag, 17. Mai 2011

"Der Turm" Uwe Tellkamp


Das beinahe ein Tausend Seiten starke Buch hat mich, muss ich ehrlich zu geben, gefordert. Die Lektüre erstreckte sich über mehrere Wochen und mit einem gewissen Stolz habe ich letzte Woche den Roman aus den Händen gelegt. Tellkamps Werk erfordert nämlich viel Aufmerksamkeit seitens des Lesers. Man kann den Roman nicht mal zwischendurch lesen - nicht nur wegen der anspruchsvollen Sprache, ganz prosaisch, auch wegen des Gewichts. Trotzdem wollte ich unbedingt das hochgelobte und mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Werk kennen lernen und bedauere es keinesfalls.

"Der Turm" scheint eins der ersten Bücher zu sein, die so umfangreich und detailliert den Alltag in der DDR schildern. Die Handlung fängt kurz nach Breschnews Tod, 1982 an und endet am 9. November 1989. Tellkamp platziert sie in einem bürgerlichen Viertel von Dresden, wo hauptsächlich Wissenschaftler, Künstler und hochgebildete Menschen leben. Dort wohnt auch Familie Hoffmann - Vater Richard ist ein bekannter Chirurg, Mutter Anne arbeitet als Krankenschwester, deren zwei Söhne besuchen noch die die Schule. Der ältere Christian - ein fleißiger, in sich verschlossener und wissbegieriger Schüler wird zu einem der Hauptprotagonisten des Romans. Der Bruder von Anne - Meno - ist eine weitere wichtige Gestalt. Er arbeitet als Lektor in einem der Dresdner Verlage und schwärmt von eigenem Roman. Fragmente seines Tagebuches, in denen er die aktuellen Geschehnisse kommentiert, werden in und wieder in die Handlung eingebunden.

Auf den ersten Seiten seines Romans, beschreibt Tellkamp Richards fünfzigsten Geburtstag. Dieser Anlass eignet sich dem Leser alle Mitglieder der Familie vorzustellen. Die Geschwister von Richard und Anne sowie ihre Kinder, die Eltern, die Mitarbeiter von Richard bilden einen bunten Querschnitt durch die Gesellschaft. Gleichzeitig wird die Handlung ganz deutlich im ostdeutschen Alltag platziert - die ausländischen Leckereien begeistern die Gäste, ungewöhnliche Geschenke überraschen den Jubilar und die Tristesse der Umgebung wird durch das Konzert, das die jüngste Generation (fast alle spielen ein Instrument) gibt, gebrochen.

Klassische Musik, Literatur, Kunst, der Glaube an Humanismus - eine Denkweise, die in der DDR verpönt war - bezeichnen die Lebensweise der Protagonisten, die auf diese Weise versuchen die bürgerliche Kultur aufrecht zu erhalten und gegen die sozialistische Einheitshaltung zu protestieren.
Jedes Mitglied der Familie kommt in gewisser Weise mit dem politischen System in Berührung. Richard ist in politische Abhängigkeit von seinem Chef verwickelt, ärgert sich über den schlechten Zustand des Krankenhauses, fehlende Möglichkeiten für Forschung und dass er mit den Kollegen aus dem Westen nicht mithalten kann. Gleichzeitig wird er von Stasi erpresst, die dazu seine Jugendsünden und die Parallelbeziehung mit der Chefsekretärin benutzt.
Christian besucht die letzte Klasse des Gymnasiums, steht vor der Wahl des Studiums, die davon stark abhängig ist, ob er "freiwillig" für drei Jahre in die NVA geht. Die korrekte Haltung im Unterricht spielt ebenfalls eine große Rolle.
Meno wiederum bemüht sich in seinem Beruf als Lektor sowohl den Schriftsteller als auch den Zensor zufrieden zu stellen. Dank seiner Arbeit hat er viele Kontakte zu damaliger "roter" Elite, kann die Gespräche und politische Entscheidungen aus erster Hand verfolgen, was die Ursache für seinen Rückzug ist. Er igelt sich immer mehr ein und widmet sich seinen zoologischen Interessen.
Während Tellkamp das Schicksal der Familie schildert, liefert er unfassbar detaillierte Beschreibungen des Dresdener Alltags - Schlangen in den Geschäften, beengte Wohnverhältnisse, Kampf um Lebensmittel und Heizbriketts, öffentliche Badehäuser, Bürokratie und vor allem die ständige Angst vorm Bespitzeln. Gleichzeitig findet man im Roman viele fast idyllische Beschreibungen des Viertels - alte, verfallene Villen mit verwilderten, geheimnisvollen Gärten wirken beinahe märchenhaft. Der Leser schwelgt in Nostalgie und vermisst das alte Dresden aus der Vorkriegszeit. Recht interessant wirken die Beschreibungen des Sperrbezirks, wo nur die hochgestellten Funktionäre wohnen durften.

Tellkamps Schreibstil kann begeistern, man muss ihm aber erst eine Chance geben. Die langen, mehrfach zusammengesetzten Sätze, die Anhäufung von Adjektiven und Metaphern verlangen nach Aufmerksamkeit und Konzentration. Der Autor hat einen Roman geschaffen, der auf die Tradition der großen epischen Werke und des Bildungsromans zurück greift. Ich fühlte mich mehrmals an "Buddenbrooks", Kellers "Der grüne Heinrich" sowie Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre" erinnert. Tellkamp nutzt jedoch auch eigene Erfahrungen - ähnlich wie Christian diente er in einer Panzereinheit der NVA und wollte Medizin studieren.

Der etwas pathetische Romananfang kann den Leser abschrecken, es lohnt sich jedoch weiter zu lesen, auch wenn hin und wieder die eine oder andere Passage überflüssig vorkommt.
Aus Tellkamps Beschreibungen wächst nämlich allmählich ein Epos heraus, eine einmalige Studie der ostdeutschen Gesellschaft.

Meine Bewertung: 4,5/6

Uwe Tellkamp, Der Turm, 973 Seiten, Suhrkamp.

Montag, 9. Mai 2011

"Liebe Isländer" Huldar Breiðfjörð


Huldar wohnt in Reykjavík, genießt das Nachtleben und reist viel, vornehmlich ins Ausland. Island interessiert ihn nicht besonders, bis er eines Tages auf die Idee kommt, so viel Island wie möglich wahrzunehmen, um die eigene Heimat wieder neu für sich zu entdecken. Folglich beschliesst er die Insel auf der Ringstraße zu umrunden. Die Expedition soll in den zwei typisch isländischen Monaten statt finden - im Januar und Februar.

Die Reise soll nicht nur dazu dienen, Island zu erkunden, gleichzeitig soll sie Huldar helfen "aufzuwachen" - er hat genug von seinem Alltag, immer den gleichen Kneipen, der gleichen Musik und dem öden Gerede mit den Kumpels. Es ist höchste Zeit sein Leben zu verändern.
Bevor er aber die Reise antreten kann, muss noch etwas wichtiges erledigt werden - Huldar braucht ein Auto, das etwas aushält. Ein Auto mit Seele. Nach einer langen Suche findet er einen Volvo Lappländer, der sein Reisegefährte werden soll.
Die Reise beginnt - Huldar fährt zuerst in die Westfjorden und noch bevor er dort ankommt, ist er kurz davor seinen Projekt zu unterbrechen. Das Wetter ist katastrophal, die Straße glatt und löchrig. Huldar kämpft mit Wind, Eisglätte, schlechter Sicht und fürchtet ständig, in den Fjord abzustürzen. Für solch einen Stadtmenschen wie er, ist die Fahrt ein wahres Überlebenstraining.

Der Kampf gegen das Wetter und die Natur wird zum Hauptthema des Romans - Huldar gibt nicht auf und kämpft sich bei Eiseskälte, ständig kurz vom tödlichen Absturz in den Fjord, in die abgelegensten isländischen Dörfer durch.

Er plante so viele Bauernhöfe und Dörfer wie möglich zu besuchen und hatte vor Gespräche mit den gewöhnlichen Isländern zu führen. Um die Kontaktaufnahme zu vereinfachen, hat Huldar Bücher zum Verkauf mitgenommen.
In jedem Ort besucht er zuerst den Kiosk oder die Tankstelle und trinkt einen Kaffee. Meistens ist es auch der einzige Platz, an dem er Menschen trifft. Die Straßen sind meistens leer.
Obwohl so viele Gespräche geplant wurden, hat Huldar bis zum Schluss einige Schwierigkeiten mit den wortkargen Isländern, ungezwungene Gespräche zu führen. Immer wieder muss er sich aufs Neue wundern, dass die Bewohner der entlegensten Ecken mit ihrem Leben zufrieden sind und nichts vermissen. Dabei gilt Reykjavík als Inbegriff einer großen Stadt mit seinen 120.000 Einwohnern.

Während eines ungewöhnlich starken Sturmes verbringt Huldar ein paar Tage in einer Pension am Myvatn-See. In der Zeit versucht er den Sinn seines Lebens neu zu definieren und sein "ich" zu entdecken. Bei den Versuchen entstehen keine erfinderischen Theorien, eher enden sie damit, dass Huldar die ganze Nacht im Fernsehzimmer auf dem Sofa schlafend verbringt. Man muss zugeben, dass Huldar die Nacht nackt (zur besseren Selbstfindung) verbringt und morgens von der Pensionsbesitzerin aufgefunden wird.

Wie ihr vielleicht gemerkt hat, ist nämlich Huldars Buch weder eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der isländischen Mentalität noch eine tiefgründige Beschreibung des Selbstfindungsprozesses. Viel mehr ist es eine herzlich witzige Liebeserklärung an Island. Huldars Bemerkungen sind lustig, die Beschreibungen der Gespräche ironisch und witzig und seine Malheurs werden selbstkritisch und autoironisch dargestellt. Der Autor entdeckt Islands Schönheit erst auf der letzten Geraden der Ringstraße, im äußersten Süden. Trotzdem ist das ganze Buch eine Lobhymne an die isländische Natur und an Island. Wo sonst kann man solch skurrilen Menschen begegnen, wo herrschen solch unberechenbaren Wettergötter und wo befinden sich solch beeindruckenden Naturwunder?
Allen Islandliebhabern möchte ich das Buch wärmstens empfehlen - ich bin mir sicher, es wird euch begeistern:)

Meine Bewertung: 5/6

Huldar Breiðfjörð, Liebe Isländer, übersetzt von Gisa Marehn, 219 Seiten, Aufbau Verlag.

"Die Hand, die man nicht beißt" Ornela Vorpsi


Auf diesen Roman war ich sehr neugierig, vor allem weil ich albanische Literatur bis jetzt noch nicht kannte.

Die Hauptprotagonistin dieses kurzen Romans, vermutlich Alter Ego der Autorin, ist aus Albanien ausgewandert und wohnt in Paris. Wir begegnen ihr während ihrer Reise in den Balkan, wo sie vor allem ihren kranken Freund in Sarajevo besuchen möchte.

"Die Hand, die man nicht beißt" ist vielmehr eine Sammlung von Überlegungen, Gedankensplitter, Bemerkungen und Erzählungen als ein zusammenhängender Roman. Die Reise in die Heimat ist der Anstoß, eigene Identität neu zu überdenken, sich an Vergessenes wieder zu erinnern und die Erinnerungen aus Tirana wieder ans Licht zu bringen.
Die Protagonistin erkennt, dass Paris noch nicht zu ihrer Heimat geworden ist, sieht aber gleichzeitig, dass ihre eigentliche Heimat ihr fremd vorkommt. Sie entdeckt zwar die vertrauen Gerüche, Farben und Geschmäcke, spürt aber, dass sie nicht mehr zu ihr gehören.

Vorpsi skizziert wunderbar ihre kurzen Beobachtungen aus den Straßen Sarajevos - es gelingt ihr den Leser zu überraschen und zum Nachdenken anzuregen. Viele ihrer Bemerkungen haben mich sehr überzeugt. Leider empfand ich das Buch als viel zu kurz, es bleibt mir nichts anderes übrig als Vorpsis zweiten Roman zu lesen.

Meine Bewertung: 4,5/6

Ornela Vorpsi, Ręka, której nie kąsasz, übersetzt von Joanna Ugniewska, 86 Seiten, Wydawbictwo Czarne

Sonntag, 1. Mai 2011

Statistik April 2011

Gelesene Bücher: 3,5
Gelesene Seiten: 697 (plus 535)

Nobelpreisträger-Challenge: 0
Reportagen-Challenge: 0
Japan-Challenge: 0
Nacht-Challenge: 0
Literaturpreis-Challenge: 0
Exoten-Challenge: 1 (Albanien)
Haruki Murakami-Challenge: 0
Familien-Challenge: 0
Farbsonnen-Challenge: 0

Das beste Buch: "Liebe Isländer" Huldar Breiðfjörð

SuB-Höhe: 120

Es fehlen noch 2 Rezensionen von Büchern, die ich im April gelesen habe - die folgen, hoffentlich, bald. Momentan stecke ich im Uwe Tellkamps "Der Turm" und habe gerade die Hälfte gelesen. Es wird noch eine Weile dauern bis ich fertig bin - die Sprache ist recht anspruchsvoll und man braucht Ruhe zum Lesen. Bei meinen beiden Kindern ist es letztens Mangelware.

Samstag, 23. April 2011

"Tiere essen" Jonathan Safran Foer


Nein, ich habe das Buch nicht so lange gelesen - inzwischen warten schon drei Bücher auf eine Rezension. Leider hatte ich in den letzten Tagen weniger Zeit (und auch Lust) zum Schreiben. Jetzt sollen meine Eindrücke endlich niedergeschrieben und veröffentlicht werden.

Dieses Buch durfte ich von einer lieben Freundin ausleihen - das Thema interessiert mich doch sehr!
Als ich mein erstes Kind bekam, begann ich über meine Ernährung nachzudenken und habe vieles umgestellt - ähnlich war es auch bei Jonathan Safran Foer. Als sein Sohn zur Welt kam, fing er an, sich mit dem Thema zu befassen. Er wollte ergründen, woher das Fleisch stammt, das seine Familie verzehrte. Dieser Ansatz ließ ihn mehrere Monate recherchieren und durch die USA reisen.

Der erste Teil wird gänzlich allgemeinen Überlegungen gewidmet. Safran Foer schreibt viel über seine Kindheit, über gemeinsame Mahlzeiten bei seiner Großmutter und berührt hin und wieder das eigentliche Thema. Man findet in diesem Teil Gedanken zum sozialen Aspekt des Essens, zur Notwendigkeit des Fleischverzehrs und erste Erfahrungen über die Art der Tierhaltung. Diese ersten ein Hundert Seiten führen den Leser in das eigentlich Thema ein. Im Hauptteil des Buches beschreibt der Autor detailliert wie Geflügel, Schweine, Rinder und Fische gehalten und getötet werden.

Safran Foer versucht bei seinen Ausführungen objektiv zu bleiben. Er gibt Aussagen von verschiedenen Personen wider: Arbeiter in den Schlachthäusern, Öko-Bauer, Vegetarier, Mitglieder von Organisationen, die sich gegen die Massentierhaltung einsetzen. Je mehr Tatsachen im Buch dargestellt werden, desto weniger objektiv wird er aber. Es ist auch schwierig angesichts der grausamen Tatsachen objektiv zu bleiben. Die unfassbare Enge, in der die Tiere leben oder die Grausamkeit bei der Schlachtung würden sicherlich jeden berühren.
Ich empfand aber nicht, dass Safran Foer den Leser zum Vegetarianismus zwingen möchte. Eher will er, dass man sich Gedanken macht, woher das Fleisch stammt und wie die Tiere gelebt haben. Mit diesen Information sollte jeder Verbraucher selbst überlegen, ob und welches Fleisch er essen möchte. Safran Foer möchte auch jedem klar machen, dass man mit dem Kauf von billigem Fleisch die Massentierhaltung unterstützt.
Er hat die möglichst radikalste Lösung gewählt und verzichtet gänzlich auf Fleisch. In "Tiere essen" beschreibt er auch die Konsequenzen seiner Entscheidung, zum Beispiel am Thanksgiving.

Alle im Buch aufgeführten Fakten beziehen sich auf den amerikanischen Markt, nur in seltenen Fällen wird mit den europäischen Ländern verglichen. Überzeugend waren für mich die sehr vielen Fußnoten, die jede Tatsache belegen und die entsprechende Quelle angeben. Hilfreich ist auch der kleine Anhang, der die Situation der Massentierhaltung in Deutschland skizziert. Ich hätte mir hierzu noch mehr Informationen gewünscht.

Das Buch passte perfekt in meine gegenwärtigen Überlegungen. Ich habe bereits erwähnt, dass ich unsere Ernährung nach der Geburt meiner Tochter umgestellt habe. Nach der Geburt meines Sohnes wurde ich noch radikaler:) Wir backen selbst Brot, machen unseren eigenen Joghurt, ich versuche so viel wie möglich Bio-Produkte zu kaufen. Die Problematik des Fleischkaufs kam letztens hin und wieder auf. Wir essen nicht viel davon aber ab und zu erscheint es doch in unserem Speiseplan. Ich möchte wissen, dass die Tiere nicht gelitten haben und bei der Schlachtung nicht gefoltert wurden. Das Fleisch im Supermarkt hat mich schon länger angeekelt, "Tiere essen" hat mir geholfen meine Einstellung zu überdenken und neu zu definieren.

Diese Rezension soll aber kein einziger Lobgesang auf das Buch sein. Ich mochte weder den Stil noch die Konstruktion des Romans. Der erste chaotische Teil ließ mich beinahe die Lektüre abbrechen. Nichts mehr nervt mich als gedankliches Chaos und das Anfangen von verschiedenen Themen, um sie dann wieder fallen zu lassen. Aus diesen ein Hundert Seiten würde ich lediglich ein Kapitel machen. Die komplette Buchkonstruktion empfinde ich als "bestseller-like" (tut mir leid für den Ausdruck aber gerade der scheint mir am besten meine Gefühle auszudrücken) - kurze Kapitel, persönliche Exkurse, fett gedruckte Abschnitte, grafische Hervorhebungen einiger Fakten - sie sollen offensichtlich attraktiv wirken und möglichst viele Leser anziehen, was im Prinzip nicht schlecht ist, aber mich immens nervt. Großes Lob möchte ich für die Umschlaggestaltung aussprechen - wirklich sehr gelungen!

Dieses Buch bekommt keine Wertung - ich sage nur: unbedingt lesen!

Jonathan Safran Foer, Tiere essen, übersetzt von Isabel Bogdan, Ingo Herzke, Brigitte Jakobeit, 392 Seiten, Kiepenhauer & Witsch

Samstag, 2. April 2011

"Jedno drzewo, jedno pożegnanie" {Ein Baum, ein Abschied} Marina Mayoral


Soweit ich es herausfinden konnte, erschien das Buch nicht auf Deutsch, daher werde ich, wie letztens, nur eine kleine Zusammenfassung schreiben.

Es ist ein kurzer Roman, in Form eines Monologs von Laura, die in ihr Heimatdorf zurück kehrt, um eine Magnolie zu pflanzen. Laura ist zwar erst fünfzig, sie schliesst aber mit ihrem Leben ab, erinnert sich an ihre alte Liebe/Freundschaft zu Paco, der im Heimatdorf geblieben ist, während Laura einen Künstler aus Madrid geheiratet hat. Jetzt nach dem Tod ihres Vaters, möchte Laura noch ihre Lebenspläne vervollständigen: ein Kind bekommen, ein Buch schreiben, einen Baum pflanzen. Eine höchstinteressante Studie, schöne Sprache - schade, dass das Buch so kurz ist.

Meine Bewertung: 4/6

Marina Mayoral, Jedno drzewo, jedno pożegnanie, übersetzt von Elżbieta Komarnicka, 85 Seiten, Muza.

Statistik März 2011

Gelesene Bücher: 6
Gelesene Seiten: 1447

Nobelpreisträger-Challenge: 0
Reportagen-Challenge: 1
Japan-Challenge: 1
Nacht-Challenge: 0
Literaturpreis-Challenge: 0
Exoten-Challenge: 0
Haruki Murakami-Challenge: 0
Familien-Challenge: 2
Farbsonnen-Challenge: 0

Buch des Monats: "Fegefeuer" Sofi Oksanen

SuB-Höhe: 116

Donnerstag, 31. März 2011

"Mit Staunen und Zittern" Amélie Nothomb


"Mit Staunen und Zittern" ist lediglich eine kurze Erzählung, in der Nothomb ein Jahr in der japanischen Firma Yumimoto beschreibt. Eine junge Frau - Amélie-san, Alter Ego der Autorin, fängt an bei Yumimoto als Übersetzerin zu arbeiten. Stufenweise wird sie jedoch in der Hierarchie zurück gestuft, so dass sie zum Schluss die übelsten Arbeiten ausführt.
Nothomb beschreibt die Verhältnisse in einem japanischem Betrieb mit sehr viel Sarkasmus. Die ganze Palette an Schikanen kann einem Mitarbeiter widerfahren: Tyrannisieren, Schreien, Mobbing sowie eine absolute Abhängikeit von den Vorgesetzten.
Amélie wird gezwungen total stumpfe Arbeiten durchzuführen, oder langweilt sich gar, weil sie in den Augen ihrer Chefin zu nichts fähig ist. In der Zeit macht sie sich Gedanken über die Rolle der Frau in japanischer Gesellschaft oder über die angebliche Überlegenheit der japanischen Rasse. Sie versucht alle Schikanen mit Humor zu akzeptieren und ihren Arbeitsvertrag nicht vor Ablauf zu kündigen.

Mit Staunen und Schrecken habe ich dieses Büchlein gelesen - ein Job in Japan erschien mir als die größte Strafe. Die Handlung spielt jedoch in den 90. Jahren, seit dem hat sich die Situation etwas gebessert.

"Mit Staunen und Zittern" war meine dritte Begegnung mit Nothomb, bis jetzt die beste, aber ich bin mir immer noch nicht sicher, was ich von der Schriftstellerin halte. Ich würde gerne einen längeren Roman von ihr lesen. Bei den kurzen Formen habe ich immer das Gefühl, Skizzen zu lesen.

Meine Bewertung: 4/6

Amélie Nothomb, Z pokorą i uniżeniem, übersetzt von Barbara Grzegorzewska, 84 Seiten, Muza.

"Dziewczyna z zapałkami" {Das Mädchen mit den Schwefelhölzern} Anna Janko


Der Roman ist bis jetzt nicht ins Deutsche übersetzt worden, deswegen werde ich hier keine komplette Rezension veröffentlichen, sondern nur eine kurze Zusammenfassung.

Anna Janko ist eine bekannte polnische Lyrikerin, die mit diesem Buch ihren ersten Roman veröffentlichte. Sie erzählt die Lebensgeschichte einer angehenden Lyrikerin, die in eine unglückliche Ehe verwickelt ist und allmählich ihr eigenes "ich" verliert. Der Roman ist autobiographisch geprägt. Jankos Prosa wirkt sehr lyrisch. Der Roman hat die Form eines Tagebuches, das mit abgebrochenen Gedanken, Zitaten, kurzen Überlegungen und Gedichten übersät ist.

Meine Bewertung: 4/6

Anna Janko, Dziewczyna z zapałkami, 264 Seiten, Verlag Nowy Świat.

Dienstag, 29. März 2011

Superblogs 2011


Kaum zu glauben aber wahr - ich wurde auch für die Superblogs 2011 nominiert! Das hätte ich nie geglaubt, aber offensichtlich war jemand so nett und hat meinen Blog angemeldet. Jetzt bleibt mir nichts mehr übrig, als diese Aktion publik zu machen:)

Mein Blog startet natürlich in der Kategorie Bücher. Die drei besten Blogs in jeder Kategorie werden mit Gold, Silber und Bronze ausgezeichnet. Die Abstimmungsphase dauert vom 1. - 7. April - ihr könnt mich dann unterstützen:) Hier könnt ihr eure Stimme abgeben. Ich würde mich sehr freuen!
Jetzt habe ich endlich auch eine Buchtasche und eine Buchhülle! Die beiden Schätze habe ich von der lieben Dorota bekommen - danke schön! Ich bin so froh darüber, dass ich unbedingt die Bilder zeigen muss:





Freitag, 25. März 2011

"Sandberg" Joanna Bator


Der Roman stand schon lange auf meiner Wunschliste - ich habe so viele positive Stimmen gelesen und gehört, dass ich ihn unbedingt lesen wollte. Dank einer lieben Blog-Freundin habe ich ihn bekommen und durfte ihn endlich lesen!

"Sandberg" hat mir tatsächlich gut gefallen aber begeistert bin ich von dem Roman nicht. Bevor ich aber über den Inhalt schreiben werde, muss ich kurz bei der Sprache stehen bleiben. Bators Stil ist nämlich grandios! Ich war und bin begeistert. Sie konstruiert lange Sätze und spickt sie gleichzeitig mit vielen umgangssprachlichen Ausdrücken, die von einer unausgesprochen guten Beobachtungsgabe zeugen. Jede Person hat ihren eigenen Stil, ihre eigene Sprechweise, die Bator unfassbar gut übermitteln kann - über viele Ausdrücke habe ich mich kaputt gelacht, vor allem über die aufgesetzte Ausdrucksweise des Pfarrers. Mir fehlen wirklich die Worte, um Bators Stil zu beschreiben. Kurzum, man muss sie lesen!

Im "Sandberg" wird die Lebensgeschichte drei Frauen erzählt: der Großmutter, der Mutter und der Tochter. Zofia, Jadwiga und Dominika und ihre gemeinsamen Beziehungen bilden die Hauptachse des Romans. Im Hintergrund skizziert Bator die polnische Geschichte - vom zweiten Weltkrieg bis zur grauen Realität des Ostblock-Daseins. Jadwiga und Dominika leben in der Platte, die in Walbrzych (ehemalig Waldenburg) für die aus den Dörfern zugezogene Bevölkerung entstanden ist.
Abgesehen von den familiären Beziehungen verbindet die Hauptprotagonistinen nicht viel - sie haben unterschiedliche Charaktere, verschiedene Vorlieben und wachsen oder wuchsen unter ganz anderen Bedingungen auf. Sogar ihr Äußeres ist unterschiedlich. Dieses verleitet Dominika dazu, die Wurzel der Familie zu recherchieren. Dieses stößt auf Unverständnis ihrer Mutter, vor allem als sie bis jetzt unbekannte Tatsachen erfährt.

Bator schildert das alltägliche Leben im kommunistischen Polen wirklich meisterhaft. Ich musste sofort in Erinnerungen schwelgen - so vieles davon gehörte auch zu meiner Kindheit.

Die Romankonstruktion möchte ich unbedingt erwähnen: die Autorin geht bis in die Zeit des zweiten Weltkriegs zurück, springt beinahe unbemerkt zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit, ohne die Chronologie der Hauptgeschichte zu stören.

Die männlichen Protagonisten bilden den Gegenpol zu den Frauen: alle sind schwach, unfähig und schwelgen im Selbstmitleid. Die Frauen werden zwar nicht glorifiziert, sie haben auch ihre Schwächen, aber alle versuchen ihr Leben bewusst zu gestalten und ihr Schicksal zu beeinflussen.

Ich habe zu Beginn geschrieben, dass ich von dem Roman nicht restlos begeistert bin - das liegt an zwei Faktoren. Erstens fand ich, dass Bator ihre Protagonisten mit etwas zu viel Sarkasmus schildert. Die Frauen sind alle einfach und nicht besonders intelligent - bei der Schilderung ihres Alltags hatte ich jedoch ständig das Gefühl, dass die Autorin dem Lesen immer wieder lachend zuzwinkert. Zweitens fand ich die Handlung, vor allem zu Schluss, zu unwahrscheinlich, zu aufgesetzt, auch wenn das Buch bis zum Ende an Spannung nicht verloren hat.
Ich werde trotz dieser Schwachpunkte den zweiten Teil sicherlich lesen.

Meine Bewertung: 5/6

Joanna Bator, Piaskowa góra, 443 Seiten, WAB.

Mittwoch, 23. März 2011

Es rieselt Gutscheine!!!

Wenn es Gutscheine für Bücher zu gewinnen gibt, bin ich sofort dabei! Ich würde mir endlich einige Bücher aus meiner Wunschliste bestellen, vor allem "Das Buch der Unruhe" von Fernando Pessoa und sicherlich noch ein paar Exoten - also Bücher aus Ländern, aus denen ich noch keinen Roman gelesen habe. Hier denke ich an Tansania, Uruguay, Honduras, an die Philippinen usw.

Was muss man denn tun, um einen Gutschein zu bekommen? Auf www.meingutscheincode.de gehen und...


  1. Suche Dir einen Gutschein aus. Du kannst zwischen einem 50 Euro Gutschein für Zalando, Otto, Buecher.de, Spreadshirt und Fotokasten auswählen. Wähle dabei Deine 1. bis 5. Wahl aus. Wenn schon alle Gutscheine Deiner ersten Wahl vergeben wurden, bekommst Du automatisch den 50 Euro Gutschein Deiner zweiten Wahl.
  2. Schreibe auf Deinem privaten Blog eine kleine Geschichte darüber was Du mit Deinem 50 Euro Zalando-, Otto-, Buecher.de-, Spreadshirt- bzw. Fotokasten Gutschein von Mein Gutscheincode machen wirst. (Einzeiler werden nicht akzeptiert ;-)) Deiner Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.
  3. Fülle das unten stehende Formular aus.
  4. Das war's! Wenn Dein Blog den Teilnahmevorraussetzungen entspricht, schicken wir Dir Deinen Gutschein per E-Mail innerhalb von nur 24 Stunden zu!
Ich bin gespannt!

Freitag, 18. März 2011

"Der entfesselte Globus" Ilija Trojanow


Ilija Trojanow stammt aus Bulgarien, wanderte jedoch mit den Eltern nach Deutschland aus, wohnte und besuchte eine deutsche Schule in Kenia, lebte auch in Indien, Asien und Afrika. Zur Zeit wohnt er in Wien. In dieser Sammlung finden sich Reportagen, die in den Jahren 1981-2007 in Asien, Afrika und Bulgarien entstanden sind.

In seinen Reportagen stellt Trojanow den Menschen immer an der ersten Stelle. Er betrachtet das Individuum aus nächster Nähe, kann den Blick eines Fremden vermeiden und besitzt die Gabe, sich in die Einheimischen hineinfühlen zu können. Man spürt, dass er viele Jahre in Asien und Afrika verbracht hat. In seinen Reportagen berührt er verschiedene Probleme: die Situation der afrikanischen Schriftsteller und Verlage, die Rolle des Fußballs in Afrika, die Entstehung der Slum in Bombay, er beschreibt das Leben in Bahrain aber auch die politische Situation in heutigem Bulgarien, um nur ein paar Themen zu nennen. Zwei Reportagen haben mir besonders gut gefallen. In der ersten beschreibt Trojanow den Prozess des Reisens am Beispiel einer Kreuzfahrt. Die Passagiere interessieren sich nur scheinbar für die Kultur der besuchten Länder, viel wichtiger ist die Qualität des Lebens an Board, für die Länder haben sie nur abwertende oder flache Bemerkungen.
In der anderen Reportage widmet sich Trojanow der deutschen Sprache, die er zu seiner Muttersprache auserkoren hat. Er beobachtet die Entwicklung des Deutschen, die zunehmende Zahl an Anglizismen und befürwortet die Verbreitung seiner Sprache in der Welt.

Während der Lektüre notierte ich mir auch den Namen eines tansanischen Schriftstellers (Adam Shafi), den ich gerne kennen lernen möchte.

Das Buch hat jedoch meine Erwartungen leider nicht erfüllt - die Texte unterscheiden sich im Niveau, man spürt deutlich, dass sie zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden sind und sich an verschiedene Zielgruppen wenden.

Ich finde den Buchumschlag wunderschön, das Foto mag ich sehr gerne, leider gibt der Verlag nicht an, wo es gemacht wurde. Mich erinnert es sehr an dieses:


Es stammt aus dem Jahre 2004 und wurde in einer meinen Lieblingsstädte - in Manila - gemacht.

Meine Bewertung: 3,5/6

Ilija Trojanow, Der entfesselte Globus, 195 Seiten, Hanser

Mittwoch, 9. März 2011

"Fegefeuer" Sofi Oksanen


Es fällt mir schwer meine Gedanken in Worte zu fassen. Wie soll ich über solch ein Buch schreiben und nicht zu viel sagen, vor allem nichts Banales sagen. "Fegefeuer" hat alle Erwartungen ausgefüllt, die ich an einen Roman stelle: er hat mich bis zu Tiefstem berührt, die Sprache hat mich begeistert und meine Gedanken gehören voll und ganz diesem Buch.

Sofi Oksanen hat mich überrascht: ich bin von ihrer Reife, der Romankonstruktion und vor allem von der Sprache begeistert. Sie kann fürchterliche Taten in Worte fassen, Grausames und Brutales in eine Metapher umwandeln, die einen noch lange nicht loslässt. Oksanens Sprache hat mich so weit begeistert, dass ich viele Fragmente mehrere Male gelesen habe. Ich habe über die Metaphern gestaunt und staune immer noch. In den unmenschlichsten Momenten kann sie das Grausame in solch eine suggestive Metapher umwandeln, dass einem der Atem wegbleibt. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es passiert nicht oft, dass mir der Stil eines Autors so sehr gefällt.

Die Sprache ist jedoch nicht die einzige Stärke des Romans. Die Konstruktion und vor allem der Inhalt machen daraus ein beinahe vollkommenes Werk. Oksanen erzählt die Geschichte zwei Estinnen - ihr Schicksal ist eng mit dem politischen Geschehen in Estland verbunden. Mehr möchte ich nicht sagen, um den Überraschungseffekt nicht zunichte zu machen. Lieber möchte ich erwähnen, wie meisterhaft die Autorin eine breite Palette an Themen in ihren Roman einfließen lässt - sie schreibt über eine destruktive Liebe, über den Verrat und über schwierige zwischenmenschliche und familiäre Beziehungen. "Fegefeuer" ist ein Roman über starke Frauen, die trotz der räumlichen und zeitlicher Entfernung sich ähnliches Schicksal teilen. Es ist aber auch ein Roman über Männer, die ihre Macht immer durch das Erniedrigen der weiblichen Sexualität ausspielen. Letztendlich ist es auch ein Roman über die Liebe zur Heimat, über den Befreiungskampf und die Wichtigkeit der Tradition und der Familiengeschichte.

Obwohl der Roman so viele Aspekte anspricht, wirkt er nicht überladen. Oksanen gelingt es alle Themen miteinanader zu verbinden. Die auf dem Schutzumschlag (sehr gelungen!) abgebildete Fliege wird zu einem Leitmotiv, dessen Vorkommen ich gespannt verfolgt habe.

Ich bin mir bewusst, dass ich trotz der vielen Wörter nicht viel geschrieben habe - bitte überzeugt euch selbst von der Stärke dieses Romans.

Meine Bewertung: 6/6

Sofi Oksanen, Fegefeuer, übersetzt von Angela Plöger, 396 Seiten, Kiepenheuer & Witsch

Freitag, 4. März 2011

Statistik Februar 2011

Gelesene Bücher: 5
Gelesene Seiten: 1512

Nacht-Challenge: 1
Literaturpreise-Challenge: 1
Farbensonne-Challenge: 1

Buch des Monats: "Tauben fliegen auf" Melinda Nadj Aboji

SuB-Höhe: 120 (fragt nicht warum:)

Donnerstag, 3. März 2011

"Der Bonbonpalast" Elif Shafak


Ich habe von dem Buch nur Positives gehört und nachdem eine Freundin mir es noch persönlich empfohlen hat, habe ich es gleich gekauft. Eine Reise in die Türkei schien der perfekte Zeitpunkt zu sein, um Shafaks Prosa kennen zu lernen. Ich habe aber über eine Woche gebraucht, um den Roman fertig zu lesen und war mehrmals versucht das Buch weg zu legen. Erst nach der Hälfte konnte ich mich ein wenig mehr für die Geschichte begeistern.

Die Handlung spielt in Istambul, im Bombonpalast. Dieses Mietshaus wurde auf den Ruinen zwei Friedhöfe auf Anweisung eines reichen Russen gebaut. Der Auftraggeber hofft, dass er es schafft an seinem Lebensende zu seiner Ex-Frau zurück zu kehren und ihr helfen das Gedächtnis zurück zu erlangen.
Der Palast ist ein fantasievolles Gebäude - jede Etage sieht anders aus und wurde mit einer anderen Art von Balkons geschmückt. Er hat aber einen Nachteil - er stinkt und wird von Ungeziefern bewohnt. Der Platz vor dem Haus wird von den Nachbarn als Müllkippe benutzt. Das Motiv des Mülls und des Gestanks scheint Istanbul zu symbolisieren: eine hektische, volle, zugemüllte Stadt, in der Menschen aller Nationen leben.
So leben auch unterschiedliche Menschen im Bonbonpalast. Ganz unten haben zwei Brüder, genauer gesagt Zwillinge, ihren Friseursalon. Der eine Bruder wuchs in der Türkei, der andere in Australien auf. Ein Uniprofessor, der sich gerade von seiner Frau getrennt hat, zieht in eine der Wohnungen ein - dabei hilft ihm seine monströs dicke und hässliche Freundin, die unbeschreiblich reich und mit seiner Ex-Frau befreundet ist. Ein in der Schweiz aufgewachsener Student bewohnt samt seinem großen Hund die kleinste Wohnung. Die die Farbe blau liebende Frau, deren Liebhaber ihre Wohnung bezahlt, wohnt gegenüber dem Uniprofessor. Man darf auch die folgenden Personen nicht vergessen - die pausenlos ihre Wohnung putzende und desinfizierende Frau von ganz oben, die russische Entomologin, die als betrogene Ehefrau vor dem Fernseher dahinvegetiert, die abergläubische Meyrem, den Großvater, der seinen Enkeln von Dchinnen und anderen Fabelwesen erzählt sowie die geheimnisvolle ältere Madame. Eine interessante Mischung an exzentrischen, merkwürdigen Gestalten, die jeweils in einem einzelnen Kapitel dargestellt werden. Obwohl die Hausbewohner sehr treffend dargestellt werden, wurden mir diese Kapitel irgendwann zu langatmig. Als Shafak jedoch die Kapitel kürzt und die einzelnen Schicksale sich miteinander verbinden, wird es spannend und der Roman bekommt mehr Dynamik.

Die Romankonstruktion erinnerte mich an "Rot ist mein Name" von Pamuk. Ähnlich wie bei dem Nobelpreisträger wirkt jedes Kapitel wie eine Miniatur.
Lediglich der Anfang ist anders - Shafak beschreibt ihre Erzählweise, indem sie das Geschriebene mit grafischen Zeichen unterstreicht - dieses hat mich gar nicht überzeugt. Wenn ich, zum Beispiel, von der linearen Erzählweise lese, muss ich nicht noch einen waagerechten Strich sehen. Dann beschreibt sie die Geschehnisse vor dem Entstehen des Bonbonpalastes - die Art und Weise, wie sie es macht, hat mich ebenfalls nicht überzeugt. Sehr gerne lese ich Romane, die etwas Neues, Unerwartetes auf der sprachlichen Ebene haben, solche grafischen "Neuerungen" mag ich aber gar nicht. Ich denke, dass der Roman begeistern kann, Shafak erzählt suggestiv und teilweise witzig, ich würde ihn aber nur bedingt empfehlen.

Meine Bewertung: 3/6

Elif Şafak, Pchli pałac, übersetzt von Anna Akbike Sulimowicz, 500 Seiten, Wydawnictwo Literackie

"Die Hochzeit des Zain" Tayyib Salih


Tayyib Salih gehört zu den bedeutendsten Schriftsteller aus dem Sudan, wo die Grundlagen der geschriebenen Literatur erst in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden sind. Zuvor wurden die Erzählungen mündlich überliefert. Tayyib Salih publizierte 1966 seinen ersten Roman "Zeit der Nordwanderung" und wurde zu einem der Mitbegründer der neuen Strömung. "Die Hochzeit des Zain" wird als sein wichtigstes Werk angesehen.

Dieser kurzer Roman kann man in die Strömung des magischen Realismus einordnen. Die Handlung spielt in einem kleinen sudanesischen Dorf. Der Autor vermag die Dorfbewohner und das alltägliche Leben unwahrscheinlich malerisch und warmherzig zu skizzieren. Der Hauptaugenmerk fällt dabei auf Zain - den lokalen Dummkopf, könnte man sagen. Er ist hässlich, er ist immer fröhlich, er lacht über sich selbst und die Welt. Zain liebt alle, vor allem die Ausgestoßenen - für jeden hat er ein warmes Wort und seine helfende Hand. Niemand im Dorf nimmt Zain ernst. Belächelt wird vor allem seine Tendenz sich ständig zu verlieben - immer wieder sucht er sich ein Mädchen aus und bekundet unsterblich in es verliebt zu sein. Die Ausgewählte wird somit zum Objekt der Begierde bei allen heiratswilligen Männern im Dorf. Bald bemühen sich alle Mütter, das genau ihre Tochter Zain ins Auge fällt.
Zain ist mit einem Sufi - Al-Hunain - befreundet, der als heiliger Mann angesehen wird. Kurz vor seinem Tod sagt er voraus, dass das Dorf reich und dass Zain das schönste Mädchen heiraten wird. Seine Prophezeiung geht in Erfüllung. Zains Heirat wird alle Dorfbewohner in Aufruhr bringen.

Tayyib Salih beginnt seine Erzählung mit der Neuigekit über Zains Hochzeit und nimmt sie als Anlass andere Bewohner darzustellen. Er zitiert aufgeregte Gespräche und beschreibt die dortigen Sitten und Bräuche. Dabei bekommt man den Eindruck, dass er sein Traumland darstellt, das aber bereits weit weg in der Vergangenheit liegt.
"Die Hochzeit des Zain" scheint ein interessanter Einstieg in die Literatur des Sudans zu sein.

Meine Bewertung: 4/6

Al-Tajjib Salih, Wesele Zajna, übersetzt von Jolanta Kozłowska, 96 Seiten, Smak Słowa.

"Kalteis" Andrea Maria Schenkel

30. Jahre, München und Umgebung - es verschwinden junge Frauen, alle hübsch, jung, dunkelhaarig. Josef Kalteis verfolgt sie auf seinem Fahrrad, um sie zu ermorden und vergewaltigen. All das erfahren wir auf den ersten Seiten. Trotzdem hat Schenkel keinen langweiligen Roman geschrieben.

Schenkel berichtet trocken, fast teilnahmslos über die Geschehnisse - sie beschreibt fragmentarisch das Leben der Opfer und ihr Verschwinden. Näher wird nur Kathie vorgestellt - ein junges Mädchen, das ihr Heimatdorf im Münchener Umland verlässt, um in der großen Stadt Arbeit zu suchen und ein interessanteres Leben zu führen. Die Autorin stellt das damalige München unheimlich suggestiv dar. Die Protagonisten gehören alle der Arbeiterschicht an, was durch die Sprache unterstrichen wird.
Viele der Opfer werden durch ihre Verwandten beschrieben, in Form des Polizeiberichts. Die Angehöirgen beschreiben ihre Frauen oder Töchter, ihre Beziehungen und Probleme. Zwischen den einzelnen Berichten "zitiert" Schenkel den Verhör von Kalteis, der anfänglich alle Vorwürfe abschlägt.

Beim Lesen fühlte ich mich sehr an "Tannöd" erinnert - der Stil und die Romankonstruktion sind ähnlich. Dieses hat mich jedoch nicht gestört - es fehlte zwar der Überraschungseffekt aber es war weiterhin ordentliche, spannende Literatur.

Meine Bewertung: 4,5/6

Andrea Maria Schenkel "Kalteis", 154 Seiten, Nautilus